K inder und Jugendliche bekommen einem Report zufolge zu oft Antibiotika verordnet. Die Gefahr einer falschen Therapie hängt auch vom Wohnort und der Wahl des Arztes ab.
Antibiotika gelten als Wunderwaffe in der Medizin. Doch diese wird langsam stumpf - und das hat vor allem einen Grund: Ärzte verschreiben Antibiotika zu schnell und zu unspezifisch. Immer mehr Bakterien entwickeln daher Resistenzen gegen die Mittel, die dann in Notfällen nicht mehr wirken. Das Problem ist seit Langem bekannt, doch in der Praxis hat das offenbar immer noch kaum Auswirkungen. Zwei Untersuchungen zeigen nun, wie der Gebrauch eingegrenzt werden könnte.
So hat die Bertelsmann-Stiftung in einem neuen Report, der auf dem Internetportal "Faktencheck Gesundheit" veröffentlicht ist, das Verschreibungsverhalten von Antibiotika unter die Lupe genommen. Das Ergebnis: Kindern und Jugendlichen werden diese Mittel zu häufig verschrieben, oft schon bei harmlosen Erkältungskrankheiten. So erhielten 2009 in Deutschland 38 Prozent aller Kinder und Jugendlichen bis 17 Jahren ein solches Arzneimittel. Bei den Drei- bis Sechsjährigen war es sogar jedes zweite Kind. Im Alter von sieben Jahren nimmt die Häufigkeit ab, bei den Erwachsenen bekam jeder Dritte ein Antibiotikum verschrieben.
Für den Faktencheck wertete ein Team um den Gesundheitswissenschaftler Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik an der Universität Bremen die Antibiotika-Verordnungen aus den Jahren 2009 und teilweise auch aus 2010 aus. Grundlage waren die Patientendaten der Krankenkasse Barmer GEK. Dabei zeichnete sich auch ab, dass der Einsatz von Antibiotika sich regional stark unterscheidet.
So erhielt in der Region mit den meisten Verordnungen jedes zweite Kind oder jeder zweite Jugendliche im Jahr 2009 mindestens einmal ein Antibiotikum, in der Region mit den wenigsten Verordnungen war es nur jedes oder jeder fünfte. Am häufigsten werden laut Report in Sachsen-Anhalt (50,6 Prozent), im Saarland (46 Prozent) und in Thüringen (44 Prozent) Antibiotika verschrieben. Am niedrigsten ist die Zahl der Verordnungen in Schleswig-Holstein (31,1 Prozent), Bremen (33,6 Prozent) und Baden-Württemberg (33,8 Prozent). Wie oft Ärzte in einzelnen Stadt- und Landkreisen Antibiotika verordnen, lässt sich auf der Internetseite anhand einer interaktiven Karte nachvollziehen.
Verschreibung hängt von der Arztwahl ab
Warum sich die Verschreibungen regional so stark unterscheiden, können die Autoren nicht genau erklären. Doch der Report liefert zumindest Ansätze. Zum einen ist das Risiko wohl höher, dass Kinder unnötig Antibiotika verordnet bekommen, wenn kein Kinderarzt in der Nähe ist. Denn je nach Facharztgruppe zeigt sich bei gleicher Diagnose ein unterschiedliches Verschreibungsverhalten. Kinder- und Jugendärzte sind offenbar zurückhaltender mit der Vergabe von Antibiotika als Hausärzte.
Bei nicht eitrigen Mittelohrentzündungen, bei denen Antibiotika laut Leitlinien nur in Ausnahmefällen angezeigt sind, verordnet jeder dritte Allgemeinmediziner ein Antibiotikum. Bei den Kinderärzten seien es hingegen nur 17 Prozent. Bei den HNO-Ärzten griff nicht einmal jeder zehnte zu dem Mittel. Bei Lungenentzündungen, bei denen der Einsatz von Antibiotika empfohlen wird, zeigt sich hingegen ein anderes Bild: Dann greifen 80 Prozent der Kinderärzte zu Antibiotika, aber nur 66 Prozent der Hausärzte.
Gegen Viren wirkungslos
Ein weiterer Grund für den übermäßigen Einsatz von Antibiotika könnte auch in der Erwartungshaltung der Patienten und Eltern liegen. Sie würden bei fiebrigen Erkältungen, bei einer Grippe und Mittelohrentzündungen diese Medikamente mitunter sogar einfordern. Ein Anspruch, dem Ärzte wiederum zu häufig nachkommen, vermuten die Autoren des Reports. Dabei helfen die Mitteln in diesen Fällen oft gar nicht, da diese Krankheiten vor allem durch Viren hervorgerufen werden. Antibiotika wiederum wirken nur gegen Bakterien, gegen Viren sind sie nutzlos.
Antibiotika sollten nicht nur wegen der Gefahr, dass sich Resistenzen bilden, sparsam verordnet werden. Die Mittel können auch Nebenwirkungen wie Magen-Darm-Beschwerden, Erbrechen und Durchfall hervorrufen. Die Autoren des Reportes fordern daher, Ärzte besser über die bestehenden Leitlinien aufzuklären. Allein bei den Hausärzten könnten die Verordnungen von Antibiotika bei Mittelohrentzündungen so um ein Drittel gesenkt werden, schreiben sie.
Nicht besser als ein Placebo
Zeitgleich zur Bertelsmann Untersuchung liefern Wissenschaftler um den HNO-Arzt Jay Piccirillo von der Washington University School in St. Louis in einer Studie weitere Hinweise, wie der Einsatz von Antibiotika begrenzt werden könnte. Das Team bestätigte, was bereits andere Studien nahegelegt hatten: Bei einer akuten Nasennebenhöhlenentzündung sind Antibiotika nicht hilfreicher als ein wirkungsfreies Placebo.
"Die Patienten genesen nicht schneller und zeigen nicht weniger Symptome, wenn sie Antibiotika einnehmen", sagt Piccirillo. Ärzte greifen bei der in der Fachwelt als Rhinosinusitis bezeichneten Erkrankung schnell zu Antibiotika - auch wenn nicht immer klar ist, ob Bakterien die Ursache sind. Doch notwendig sind diese Mittel Piccirillo zufolge nicht. "Die meisten Erkrankten werden von selbst wieder gesund."
Für ihre im Fachjournal JAMA ("Journal of the American Medical Association") veröffentlichte Studie teilten die Wissenschaftler 166 Erwachsene, die unter einer akuten Nasennebenhöhlenentzündung litten, in zwei Gruppen ein. Die Hälfte der Teilnehmer erhielt das Antibiotikum Amoxicillin, die andere Hälfte ein Placebo.
Nach drei und nach zehn Tagen ging es den mit Antibiotika Behandelten nicht besser als der Kontrollgruppe. Nach ungefähr sieben Tagen berichteten die meisten Erkrankten in beiden Gruppen, dass sich ihre Symptome gebessert hätten - wobei der Anteil in der Amoxicillin-Gruppe etwas höher war. Der Unterschied sei allerdings kaum bedeutsam, schreiben die Forscher.
Sie fanden auch keinen Unterschied in der Menge der Medikamente, die Patienten beider Gruppen gegen Schmerzen, Fieber oder Husten einnahmen. Hinsichtlich der Fehltage, der Rückfallquote und der Dauer der Krankheit unterschieden sich die Gruppen ebenfalls nicht. |